Politik und Gesellschaft Jahresbericht 2024/2025
Das Meinung-Haben ist vor das Meinung-Bilden getreten
Ein Gespräch zwischen Alice Weidel und Elon Musk im Januar 2025 wirkte geradezu langweilig, weil es genau so begann, wie man vermutete. Zwei Menschen, die sich in allem einig sind, deklinieren gemeinsam den Kanon ihres rechten Weltbildes durch: die verfehlte Energiewende, die Migrantenschwemme, die Kriminalitätsexplosion. Hitler war in Wahrheit Kommunist, und Bill Gates hat uns die Corona-Impfstoffe aufgezwungen.
Nichts, was man sich nicht auch auf mancher Familienfeier anhören müsste, wenn man sich an den Tisch mit dem Großonkel zweiten Grades setzt – und zu spät begreift, warum der Platz noch frei war.
Misstrauen und Spaltung entstehen da, schreibt die Initiative „#Zusammenland“, wo Menschen nicht mehr unterscheiden können zwischen Fakten und Fake News. Wo sie nicht mehr sicher sind, ob etwas frei erfunden wurde – oder den Tatsachen entspricht.
Wir wollen eigentlich in einem Land leben, in dem wir zwischen Wahrheit (auch wenn Wahrheit manchmal eine Frage der Perspektive ist) und Lüge zu unterscheiden wissen. In einem Land, in dem wir miteinander streiten und andere Meinungen aushalten. In einem Land, in dem wir unterscheiden lernen zwischen Meinung und Tatsache. In einem Land, in dem wir uns an demokratische Spielregeln halten. Wir alle haben die Wahl. Jede und jeder einzelne. Wir können uns entscheiden: für Fakten statt Fake News. Für Vielfalt statt Einfalt.
Und so erleben wir stattdessen, worunter unsere Gesellschaft als Ganzes und unsere Schule als Teil dieser Gesellschaft leiden: Die Menschen ziehen sich in ihre kuscheligen Rückzugsräume zurück, vermeiden den Diskurs – und verlernen so die Fähigkeit, Lösungen im Konsens zu finden.
Statt mit den Kollegen Argumente auszutauschen, werden im Teams-Kanal Herzchen gepostet, Likes für Wortmeldungen verteilt, die das eigene Weltbild zementieren und vergessen, wie es sich anfühlt, wenn das Gegenüber einen anderen Standpunkt einnimmt – und warum dies seine Berechtigung haben könnte. Die Gesellschaft fragmentiert sich in vielen Bereichen zunehmend, auch in der Wahrnehmung was als Problem oder Herausforderung angesehen wird. Beschleunigt wird diese Entwicklung dabei durch technologische Veränderungen in der Medienlandschaft, die unterstützt durch Algorithmen die Polarisierung fördern.
Werden uns die Medien also ungehemmt nahebringen, wie man gegeneinander lebt? Was geschieht, wenn jeder von uns aus einer immer individuelleren Perspektive agiert?
Oder werden sie uns helfen, zu lernen, was viel schwieriger, aber auch viel wichtiger zu lernen ist, nämlich wie wir miteinander auskommen?
Der Arbeitsplatz ist in diesem Zusammenhang ein Ort, an dem wir Menschen begegnen, mit denen wir nicht freiwillig viel Zeit verbringen. Die Gelegenheit, sich dort mit anderen Meinungen auseinanderzusetzen, ist nicht bindend, aber hilfreich – und wertvoll für den Erhalt unserer Demokratie. Wie wollen wir unseren Schülern denn demokratische Tugenden beibringen, wenn wir schulintern inhaltliche Auseinandersetzungen tabuisieren oder aus Karrieregründen vermeiden?
Wahrscheinlich bringt es Arthur Schopenhauer auf den Punkt, wenn er sagt „…dass wir nicht nur für das verantwortlich sind, was wir tun, sondern auch für das, was wir widerspruchslos hinnehmen.“
Ein Arbeitsplatz ist aber natürlich kein Ort, an dem sich stets alle lieb haben müssen/können. Er kann es nicht sein, weil es Hierarchien gibt. Aber wir müssen wieder lernen, andere Meinungen auszuhalten.
Gleichzeitig gibt es Bereiche, in denen nicht die Hierarchie, sondern das Vertrauen Grundlage einer Verständigung sein muss. Gespräche zwischen Schulleitung und Personalrat brauchen deswegen in Zukunft neben Vertrauen die Bereitschaft, die gleiche Augenhöhe herzustellen, um in einem gleichberechtigten Austausch Lösungen zu finden.
Jedes Jahr versuche ich hier auch einen kurzen Rückblick auf das vergangene Schuljahr zu liefern. Zuallererst ein wirklich gutes Résumé: 2024/25 war ein ganz normales „Regelschuljahr“.
Gegen Ende des letzten Schuljahres besuchte uns Frau Marianne Schieder im Rahmen der Reihe „Schüler und Schülerinnen fragen - Politiker antworten“.

Marianne Schieder wuchs als älteste von fünf Mädchen auf einem Bauernhof in Schwarzberg, einem kleinen Dorf in der Marktgemeinde Wernberg-Köblitz auf. Nach Abschluss des 2. juristischen Staatsexamens arbeitete sie als Landesgeschäftsführerin der Katholischen Landjugendbewegung Bayerns. Von 1994 bis 2005 war sie Mitglied des Bayerischen Landtages und war seit 2005 Mitglied des Deutschen Bundestages. Politisch engagierte sich darüber hinaus im Kreistag und als Gemeinderätin in ihrer Marktgemeinde Wernberg-Köblitz.
„Wie kommt man im CSU geprägten Bayern darauf zur SPD zu gehen?“, mit dieser Frage begann ein Schüler der Landwirtschaftsklasse die Diskussionsrunde. Nach anfänglicher Zurückhaltung entwickelte sich eine lebhafte Diskussion über fast zwei Schulstunden. Frau Schieder wurde zu vielen unterschiedlichen Themen "gelöchert". Themenschwerpunkte waren: Erneuerbare Energien, Wahlrechtsreform, Atomenergie, aktueller Zustand der Regierungskoalition, AfD, Klimawandel und die wirtschaftliche Situation der deutschen Landwirte.
Ihre engagierte Art auf die Fragen der Jugendlichen zu antworten, kam bei den Schülern gut an. Auch lange nach Ende der Veranstaltung musste sich Frau Schieder noch den Fragen bzw. den "Statements" der Schüler und Schülerinnen stellen.

Gleich zwei Wahlen standen im letzten Schuljahr im Mittelpunkt sozialkundlichen Interesses. Bei beiden Wahlen, der Europawahl und der Bundestagswahl 2025, nahmen wir teil am Projekt Juniorwahl, das den „richtigen“ Wahlvorgang simulierte und zu interessanten - teils aber auch überraschenden Ergebnissen des Wahlverhaltens unserer Berufsschüler führte.
Bei der simulierten Bundestagswahl beteiligten sich 40 Klassen mit insgesamt 676 Schülern. Vielen Dank an alle Schüler, die teilgenommen haben und an alle Kollegen, die die Schüler dabei tatkräftig in der Vorbereitung unterstützten.

Das Projekt Juniorwahl sollte den Schülerinnen und Schülern bewusst machen, welch grundlegende Bedeutung dem Bürgerrecht der allgemeinen, direkten, freien, gleichen und geheimen Wahl in der parlamentarischen Demokratie zukommt. Wählen ist erster und notwendiger Schritt für eine umfassende politische und demokratische Teilhabe, denn Mitbestimmung bei politischen Willensbildungs- und Entscheidungsprozessen ist unerlässlich, wenn das Volk der Souverän ist.
„Demokratie ist keine Glücksversicherung, sondern das Ergebnis politischer Bildung und demokratischer Gesinnung“, so beschrieb es der erste Bundespräsident Theodor Heuss. Die Verknüpfung von politischer Grundlagenbildung und Handlungsorientierung sollte Demokratie erfahrbar machen und die Jugendlichen zunächst motivieren, zur Wahl zu gehen, aber auch längerfristig sich vor Ort in ihre eigenen Belange einzumischen, Möglichkeiten der Mitwirkung wahrzunehmen und damit Demokratie aktiv zu leben.

In die gleiche Richtung zielte die Einführung der sog. „Verfassungsviertelstunde“ für alle Klassen zum Schuljahr 2024/25. Die Verfassungsviertelstunde ergänzt im Umfang von 15 Minuten im wöchentlichen Format als neues Element der Politischen Bildung das Gesamtkonzept für die Politische Bildung an Bayerns Schulen. Die Schülerinnen und Schüler setzen sich anhand aktueller und lebensnaher Beispiele regelmäßig außerhalb des Faches „PuG“ mit zentralen Werten des Grundgesetzes und der Bayerischen Verfassung auseinander, insbesondere mit den Grundrechten und den Werteprinzipien der freiheitlich-demokratischen Grundordnung.
Im Rahmen des Unterrichtsfachs "Büromanagementprozesse" organisierte die Klasse WBM 12b im Januar 2025 zusammen mit ihrer Lehrerin Frau Nicole Gebauer mit großem Engagement einen Aktionstag unter dem Motto „Schule ohne Rassismus – Vorurteile abbauen, Lösungen finden“. Ziel dieses Tages war es, ein starkes Zeichen gegen Diskriminierung zu setzen, das Bewusstsein für die Problematik von Rassismus zu schärfen und nachhaltige Lösungsansätze zu diskutieren.

Im März konnte die Ausstellung Wanderausstellung "Was geht, was bleibt - Leben mit Demenz" in der Aula der Berufsschule besucht werden. Die Ausstellung wollte dazu beitragen, die Öffentlichkeit und damit auch unsere Schüler für das Thema Demenz zu sensibilisieren und zu informieren. Sie stellt deshalb Informations- und Hilfsangebote für Betroffene und deren Angehörige vor - zielt aber auch darauf ab, ehrenamtliche Helferinnen und Helfer für diese wichtige gesellschaftliche Aufgabe zu gewinnen.

Gegen Ende des Schuljahres bestand die Gelegenheit, die Ausstellung „Frauen im geteilten Deutschland“ in der Eingangshalle der Schule zu besuchen.

Seit über drei Jahrzehnten ist die deutsche Teilung Geschichte. Dennoch begegnet man (und frau) immer noch vielen Klischees, die Frauen aus Ost- und Westdeutschland zugeschrieben werden. Die Westfrau wird oft entweder als „Heimchen am Herd“ oder als knallharte Karrierefrau beschrieben. Die Ostfrau hingegen steht im Kohlebergbau "ihren Mann". Sie wird als tough bezeichnet oder auch als Rabenmutter, weil sie ihre Kinder in die Krippe gibt. Die Westfrau gendert, während die Ostfrau damit nichts anzufangen weiß. Die Ostfrau gilt mal als Verliererin, mal als Gewinnerin der deutschen Einheit. Die Liste der Zuschreibungen ist lang. Obwohl sie sich teilweise grotesk widersprechen, zeugen sie doch alle von der Überzeugung, man wisse genau, wie DIE Ostfrau und DIE Westfrau eigentlich ticken. Vor allem eines scheint klar zu sein: Sie ticken alle gleich, aber im Vergleich zum anderen Teil Deutschlands sehr unterschiedlich. Woher kommen diese Zuschreibungen? Und was ist an ihnen dran?
Die Ausstellung „Frauen im geteilten Deutschland“ wollte auf diese Fragen eine Antwort geben. Herausgegeben von der Bundesstiftung zur Aufarbeitung der SED-Diktatur ist die Schau ein Beitrag zum 35. Jahrestag der deutschen Einheit.

Gestatten Sie mir zum Schluss noch ein paar persönliche Worte, da es mein letztes Schuljahr als Fachbetreuer des Faches „Politik und Gesellschaft“ ist.
Ich denke, dass angesichts der Wichtigkeit der politischen Bildung, und das meine ich nicht nur weil das Fach WISO in fast allen Abschlussprüfungen der Berufsschule geprüft wird, sondern noch viel mehr, weil es oft die letzte Chance ist, jungen Menschen den Wert einer demokratischen Gesellschaft näherzubringen, die Interessenvertretung dieses Faches auch weiterhin mit einer sogenannten Funktionsstelle hinterlegt bleiben sollte. Diese Funktionsstelle ermöglicht es, sich angemessen um die sich schnell ändernden Inhalte dieses Faches zu kümmern und gleichzeitig die wichtigen Inhalte des Dauerprojekts „Schule ohne Rassismus, Schule mit Courage“ im Blick zu behalten.
Die Wichtigkeit politischer Bildung zeigt sich erst recht in Krisenzeiten. Die Zeitenwende oder wie es Bob Dylan 1964 ausdrückte: „The times they are a-changing“ ist eine Folge politischer Entscheidungen und fiel nicht vom Himmel.
Es sind menschliche Entscheidungen, die Veränderungen herbeiführen. Und das gilt im Kleinen wie im Großen. Insofern ist ein politisches Bewusstsein, also die Wahrnehmung der in einer Gesellschaft wirksamen Wertvorstellungen und der mit ihnen verbundenen Formen und Inhalte der Argumentation und Interpretation in Bezug auf soziale, wirtschaftliche und politische Verhältnisse“ (Kurt Sontheimer), immer auch ein Instrument für ein selbstbestimmtes Leben. Erst das ermöglicht die Kontrolle über das eigene Leben zu haben, basierend auf der Wahlmöglichkeit zwischen beeinflussbaren akzeptablen Alternativen, die die Abhängigkeit von Entscheidungen anderer bei der Bewältigung des Alltags minimieren.
Trappe, StD












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